Schachschule Quiz Challenge #4
Challenge
An welchem Flügel soll sie spielen? Oder besser im Zentrum statt am Flügel? Und wie geht es jetzt konkret weiter? Vor diesen Fragen stand Josefine Heinemann (Foto) im Duell der Nationalspielerinnen gegen Lara Schulze. Heinemann fand die richtige Antwort. Findest Du sie auch?
Auflösung
Eine kuriose Konstellation aus dem German Masters 2023. Der weit vorgeschobene schwarze d-Bauer sieht aus wie ein Pfahl im weißen Fleische – tut Weiß aber gar nicht weh. Weiß kann prima drumherum spielen, und die beiden quer übers Brett strahlenden Fianchetto-Läufer eröffnen ihr Perspektiven auf beiden Flügeln.
Mit ihrem Zug 14…c6 hatte Lara Schulze ihren Damenflügel einigermaßen stabilisiert, indem sie mit einem Zug zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hat: Der Druck des Turms auf der halboffenen c-Linie ist neutralisiert, der Druck des Läufers auf der langen Diagonalen h1-a8 auch. Jetzt den Läufer c8 auf ein schönes Feld entwickeln, und es sähe gar nicht so schlecht für Schwarz aus.
Josefine Heinemann hatte längst den anderen Flügel ins Visier genommen, den Königsflügel. Der Läufer b2 beäugt auf der langen Diagonalen a1-h8 schon die schwarze Rochadestellung, und der Springer e4 hat sich auf den Weg Richtung schwarzer König begeben. Jetzt muss sie noch einen Weg finden, ihre schweren Geschütze an den schwarzen König heranzuführen, die Dame und die Türme.
Heinemann fand mehr als das. Auch sie schlug zwei Fliegen mit einer Klappe – und zog 15.f4-f5. Stark! Das eröffnet der weißen Dame den Weg nach g4 und dem Turm f1 den Weg nach f4, um von dort auf die g- oder h-Linie zu schwenken, ein Turmschwenk. So viel zur einen Fliege.
Nicht nur öffnet 14.f4-f5 den schweren weißen Geschützen einen Weg auf den Königsflügel, der Zug schränkt obendrein die schwarzen Möglichkeiten ein. Der auf der Grundreihe verharrende Läufer auf c8, den Schulze so gerne entwickeln würde, findet jetzt kein gutes Feld mehr. Der Bauer auf f5 schließt den Läufer aus der Partie aus. Er behindert die schwarze Entwicklung und Koordination.
Als f4-f5 auf dem Brett stand, haben Heinemann und Schulze bestimmt an eine klassische Partie gedacht, die für Nationalspielerinnen zum kleinen Einmaleins der Schachausbildung gehört. Die Partie zwischen Emanuel Lasker und José Raúl Capablanca, gespielt in St. Petersburg 1914, ist so bekannt und lehrreich, sie hat sogar einen eigenen Wikipediaeintrag. Als Lasker…
…12.f4-f5 spielte, rümpften die Experten die Nase. Was macht denn der Weltmeister da? Schwächt er nicht das Feld e5, indem er seine Bauernphalanx auflöst? Verurteilt er nicht seinen Bauern e4 zu einem Dasein als rückständiger Bauer, der bald auf der halboffenen e-Linie unter Druck stehen wird?
Emanuel Lasker, Weltmeister 1894 bis 1921. | Foto: National Library of Israel, Schwadron collection, License: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.de
Ja und ja. Aber Lasker hatte weiter und tiefer gedacht. Zwar macht er zwei positionelle Zugeständnisse, aber er bekommt umso mehr dafür. „Schach ist ein Tauschgeschäft“, pflegt heute Großmeister und Schachtrainer Michael Prusikin zu solchen Konstellationen zu sagen.
Zum einen und am wichtigsten, das wissen wir schon, schränkt der Bauer f5 wie in der Partie Heinemann-Schulze den Läufer c8 ein. Schwarz fällt jetzt die Entwicklung und Koordination schwerer. Weiß fällt sie dank des schlauen Bauernzugs leichter, denn der hat dem Läufer c1 die Bahn geöffnet.
Noch dazu hat Weiß ein prächtiges Feld tief im schwarzen Lager erobert, einen Vorposten: Auf e6 wird sich potenziell ein weißer Springer pudelwohl fühlen – und würde dort vom Pferd zum „Oktopus“ mutieren. So nennen wir Springer, die, mitten im gegnerischen Lager eingepflanzt, krakenhaft um sich greifen. Der unbeschäftigte Springer b3 steht schon bereit, über d4 nach e6 zu hüpfen.